SKURRILES KABINETT
Ausstellung UNTITLED (NO VISITORS)
Weißensee Kunsthochschule Berlin, März/April 2021
Betrachtungen zu der Installation SKURRILES KABINETT
von Lee Negris
2021
Skurril : etym. Herkunft von lateinisch: scurrilis, “possenhaft”,
von scurra, “Witzbold, Spaßmacher”
Die Installation SKURRILES KABINETT von Susanne Weber Lehrfeld ist eine eigenartige Ansammlung verschiedener Werke und Objekte die zusammen einen Kosmos bilden: plastische Reliefs, kleine Gemälde, Skulpturen -darunter eine kinetische- und verarbeitete Photographien bzw. gedruckte Stills aus eigenen Videoarbeiten. Als ganzes zeigt die Installation die Spuren der Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie und Familiengeschichte. Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Entstehung der verschiedenen Arbeiten und die Zusammensetzung des Kabinetts sind reale Objekte u.a. aus der Hinterlassenschaft der Mutter in Form von Accessoires wie Handschuhe, Hutnetze, Broschen, Felle und Federn. Durch die Objekte der Mutter, die auch mit ihrer eigenen Geschichte geladen sind, entsteht eine materielle Verbindung zur Vergangenheit und dem Habitus der Vorfahren. Damit sind auch die Geschichten verbunden, die die Künstlerin als Mensch und als Frau geprägt haben: Vorstellungen von Anstand und Normativität – was darf sich eine Frau erlauben, wie hat sie auszusehen? – und wie kann der Dialog mit der Abweichung vom bürgerlich-patriarchalen Deutschland der Nachkriegszeit überhaupt aussehen.
Die wandfüllende Hängung erinnert syntaktisch an die assoziative Struktur unbewusster Äußerungen und an die symbolische Sprache von Träumen. Die Installation tritt mit der Platzierung der einzelnen Werke bis an die Decke der Sterilität des White Cube entgegen und erobert den Raum. Das Kabinett wird zu einer Art Wunderkammer der Regungen und Wimmelbild der Gefühle und Medien. Die Werke speichern ihre eigene Geschichte und fangen die Wut, Trauer und Ohnmacht der Vergangenheit auf, um diese nicht mehr verinnerlichen zu müssen. In den Werken wird zudem ein Bannen und Erstarren der restriktiven Forderungen von innen und von außen bewirkt. Dabei wird ein Ruf des Unbewussten sichtbar, Muster und Geschehnisse neu ordnen und bewältigen zu wollen. Die absonderliche Visualisierung des Konflikts in diesen teilweise schrägen Objekten löst ebenfalls die Spannung und erzeugt ein komisches Moment, das dem inneren Kind gerecht wird. Die Installation bleibt auch als ein Versuch sich oder die Welt als Kuriosität zu erfahren, zu untersuchen und sogar auszuhalten. Das innere Kind kann erhört werden und bekommt erst durch das erwachsene Ich seine Daseinsberechtigung. Was spricht dagegen, das eigene Leben als Kuriosität und als etwas Skurriles zu betrachten? Wo liegt die Motivation unserer Handlungen und Entscheidungen?
Die Künstlerin arbeitet dadurch auch die Gedanken zu ihren eigenen Möglichkeiten und Beweggründen heraus wie z.B. der Verlauf ihrer eigenen künstlerischen Praxis und Karriere durch den Anschluss an ihre vorherige Karriere in der Pharmazie. Als Antwort auf die Vergangenheit im Hier und Jetzt, sowohl auf die selbst erlebten familiären und gesellschaftlichen Restriktionen, als auch auf das Gefühl der nicht ausgelebten Talente oder sogar Wünsche der Mutter verwirklicht sie diese Metapher für die Begegnung mit Bekanntem und fremd Vertrautem.
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ENGLISH
Exhibition UNTITLED ‚No Visitors’
Weißensee Kunsthochschule Berlin, March/April 2021
Reflections on “Skurriles Kabinett”
by Lee Negris
2021
The installation SKURRILES KABINETT – Room of curiosities by Susanne Weber-Lehrfeld is a strange assortment of various works and objects that make up a world of their own when put together: sculptural reliefs, small paintings, sculptures – including a kinetic one – as well as processed photographs or rather printed stills from her own video works. In its entirety the installation shows the result of the reflection upon her own life and family history. An important point of reference for the emergence of the pieces and the composition as a whole are real objects including some from the bequest of her mother in the form of accessories like gloves, hat nets, broaches, furs and feathers. A direct connection to the past and her heritage is forged though the objects of the mother that are charged with their own tales and histories. Connected to these are the artists own experiences, the ones that shaped her as a person and as a woman: notions of decency and convention – what is a woman allowed to do, how should she look? – and how can a dialogue with the aberration form the bourgeois and partiarchal norms in post-war Germany be illustrated.
The wall filling salon-style hang is reminiscent of the associative structure of unconscious utterances and the symbolic language of dreams. The installation stands against the sterility of the White Cube with the works placed almost to the ceiling enveloping the space. The room -the cabinet- becomes a wondrous space of psychic movement and comes alive with emotion though the various media. The works encapsulate their own story and capture the anger, sadness and feelings of helplessness of the past so as not to have to internalise these any longer. At the same time the works avert and freeze the restrictive societal demands in place and render them powerless. A call from the unconscious becomes audible wanting to order experiences anew and overcome old patterns. The quirky visualisation of the conflict in these somewhat bizarre objects loosens the tension and introduces a comical element, that honours the inner child. The installation remains as a whimsical attempt to conceive the world as a curiosity, as something to be examined, discovered and even endured. The inner child can be heard and only gains its raison d’être from the adult self. What goes against perceiving ones own life as curiosity and as something bizarre or absurd? Where is the real motivation for our actions and decisions?
The artist also processes thoughts pertaining to her own possibilities and motives like the path of her artistic practice and career following her career as a pharmacist. In an answer to the past taking place here and now, she questions her own experiences with familial and societal restrictions as well as responding to the feeling of supposed unrealised talents and dreams of her mother and creates a visual metaphor for the encounter with the known and the foreignly familiar.
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